An dieser Stelle erscheinen fortan in der Reihe „Redshift Impulse“ spannende Artikel aus Deutschland und der Welt zu den Themen Innovation, Digitalisierung und Arbeitswelt der Zukunft. Der Erste Beitrag widmet sich dem Thema Fachkräftemangel im Bauwesen. Wie sich zeigt, kein ausschließlich deutsches Thema.
Ein britisches Unternehmen sagt dem Fachkräftemangel im Bauwesen den Kampf an
Von Elizabeth Rosselle
Um die Wohnungskrise in England zu entschärfen, müssten schwindelerregende vier Millionen Häuser gebaut werden. Doch wer soll das tun? Der Wohnungsmangel in Großbritannien hat ein neues Rekordniveau erreicht und das Land steht vor einem überwältigenden Fachkräftemangel im Bauwesen. Der Brexit könnte diesen Mangel noch verschärfen, indem die Zahl der Arbeitskräfte aus EU-Ländern eingeschränkt wird. Ein britisches Bauunternehmen hat nun Lösungen.
Das Bauwesen steckt in einer Imagekrise und hat deshalb Schwierigkeiten, Nachwuchskräfte anzuwerben. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die Kier-Gruppe, das zweitgrößte Bauunternehmen in Großbritannien, einen Forschungsbericht über die Image- und Nachwuchskrise und machte eine klare Ansage: „Modernisieren oder untergehen.“ Das Unternehmen will mit alten Vorurteilen über Bauberufe aufräumen und berufsspezifische Aspekte in den Vordergrund rücken, die jüngere Generationen ansprechen – wie zum Beispiel zukunftsweisende Technologien.
Eine der Initiativen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die Kampagne „Shaping Your World“, mit der sich das Unternehmen dazu verpflichtet, ein Prozent seiner Belegschaft als Botschafter an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten zu schicken. Dort sprechen die Mitarbeiter mit Jugendlichen und Studierenden über Karrieremöglichkeiten und zeigen neue Trends und Entwicklungen im Bauwesen auf. Das Ausbildungsprogramm des Unternehmens, das für alle Bewerber ab 16 Jahren angeboten wird, steht im Einklang mit einer Initiative der britischen Regierung zur Finanzierung weiterer drei Millionen Lehrstellen bis 2020.
Diese Programme bieten potenziellen Nachwuchskräften die Möglichkeit, von Expertenwissen zu profitieren. Lernen ist jedoch keine Einbahnstraße, denn die Arbeit mit der digital versierten jüngeren Generation hilft erfahrenen Architekten und Ingenieuren, bei neuen Methoden am Ball zu bleiben. „Unsere Trainingsvideos und Kommunikationsmittel kommen definitiv an“, sagt Richard Davis, Regionalbauleiter der Kier-Gruppe. „Umgekehrt lernen alte Hasen wie ich dabei auch von diesen jungen Menschen, indem sie uns mithilfe von Facebook und YouTube zeigen, wie man moderne Tools effektiver nutzen kann. Also, ich glaube, wir befinden uns in einer Revolution.“
Alex Plenty, der als Azubi bei Kier arbeitet, ist der Ansicht, dass die Umstellung auf neue Prozesse wie BIM für Neueinsteiger sogar einfacher sein kann als für erfahrene Kräfte, die jahrzehntelang andere Arbeitsweisen gewohnt waren. „Ich denke, es ist gut, Nachwuchskräfte einzubinden, die noch nicht so lange in der Branche arbeiten und deshalb Dinge mit anderen Augen betrachten. Damit meine ich nicht nur junge Berufsanfänger, sondern auch aus anderen Bereichen versetzte Mitarbeiter.“ Er fügt hinzu, dass die jüngere Generation aufgeschlossener ist, wenn es um Arbeitsplatzwechsel geht. „Stellen auf Lebenszeit gibt es nicht mehr, also müssen wir uns sowohl an junge Berufseinsteiger richten als auch an Menschen, die sich umorientieren“, erklärt er. „Das heißt, es geht mehr um Fähigkeiten als um Qualifikationen.“
Die Initiative von Kier geht über das Klassenzimmer hinaus: Das Unternehmen installierte „Virtual World“-Schilder an zentralen Projektstandorten, die beim Scannen mit dem Smartphone Zugriff auf die Geschichte des Standortes, Fallstudien, Informationen über offene Stellen und Projektbeschreibungen ermöglichen. Die „Virtual World“-Schilder protokollieren jeden Monat 10.000 einzelne Besuche und eine begleitende Website von Virtual Interactive Built Environment (VIBE) stellt einen herunterladbaren Karriereleitfaden für Interessenten bereit.
Der Reiz cooler neuer Technologie
Die Bauindustrie setzt zunehmend auf neue Technologien wie Augmented und Virtual Reality, Drohnen und Künstliche Intelligenz. Doch nach Untersuchungen der City & Guilds Group sind 54 Prozent aller Bauunternehmen von Fachkräftemangel betroffen. Ein Rückstand in punkto Technologie führt zu geringerer Produktivität und niedrigeren Gewinnen. Auch wenn es für Branchenveteranen bisweilen eine Herausforderung ist, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, helfen Technologien, sowohl die Branchenkultur zu verändern als auch festgefahrene Stereotypen aufzulösen.
„Das Geniale an aufkommenden Technologien ist, dass sie das Bauwesen für ganz neue Personengruppen reizvoll machen“, sagt Sam Dawson, Auszubildender im Berufsfeld Digitale Bautechnik bei der Kier-Gruppe „So wird jemand, der sich für Technologie, Programmierung und Ähnliches begeistert, feststellen können, dass sich diese Dinge auch auf das Bauwesen übertragen lassen. Das macht die Branche sofort viel anziehender.“
Zukunftsweisende Technologien wie Roboter und 3D-Modellierung haben einen starken „Wow“-Effekt, erleichtern aber auch viele bestehende Jobs – bei Kier werden Mitarbeiter im Rahmen von Ausbildungen, Praktika und Managementprogrammen entsprechend umgeschult – und eröffnen damit neue Karrieremöglichkeiten innerhalb der Branche.
Frauen sind im Bauwesen willkommen
Alle Berufsgruppen richten ihr Augenmerk darauf, Unternehmenskulturen weiterzuentwickeln und mehr Raum für Vielfalt zu schaffen. Frauen könnten für das Bauwesen die ungenutzte Ressource sein, die den Arbeitskräftemangel löst. In Großbritannien machen Frauen nur 12 Prozent der Beschäftigten in der Bauindustrie aus, eine Branche, die nach Forschungsergebnissen von Kier häufig immer noch als „körperliche“ bzw. „ungelernte“ Arbeit wahrgenommen wird.
„Wir müssen den Bereich für Frauen attraktiv machen“, sagt Davis. „Insgesamt liegt der Frauenanteil in unserem Unternehmen bei etwa 17 Prozent. Unter unseren jüngeren Mitarbeitern ist dieser Anteil allerdings viel höher. Für sie ist die Zusammenarbeit von Männern und Frauen viel geläufiger. Wir haben die Sicherheit gesteigert, die Sauberkeit erhöht und die Kultur verbessert, um uns als attraktiverer Arbeitgeber für Frauen zu präsentieren.“
Durch Initiativen wie das Balanced Business Network (BBN) und eine Gender Strategy Group will die Kier-Gruppe die Gleichstellung in der Branche fördern. „Unsere Strategiegruppe setzt sich aus Führungskräften zusammen und soll das Profil, das Bewusstsein und das Wissen um die wirtschaftlichen Triebfedern für mehr Geschlechtervielfalt schärfen“, sagt Rebecca Heptinstall, die Beauftragte für Nachwuchsförderung bei der Kier-Gruppe. „Das BBN wurde ursprünglich von Mitarbeitern bei Kier gegründet, um zu untersuchen, wie wir die Wettbewerbsbedingungen für Frauen in unserer Branche verbessern können, insbesondere für Frauen in technischen Führungspositionen. Wir wollten die Herausforderungen verstehen, mit denen die wenigen weiblichen Mitarbeiterinnen in traditionell männlichen Rollen konfrontiert sind, mit dem Ziel, für mehr Integration bei Kier zu sorgen.“
Ohne eine Branche, in der Planer, Ingenieure und Bauunternehmen entwerfen, konstruieren und bauen, entstehen keine Häuser. Und ohne Menschen geht die Branche unter. Proaktive Initiativen wie die Ein-Prozent-Verpflichtung der Kier-Gruppe können das Bewusstsein für die Ursachen dieser Probleme schärfen und zu deren Lösung beitragen. Wenn andere führende Unternehmen nachziehen und verstärkt in Schulen und anderen sozialen Umfeldern Öffentlichkeitsarbeit betreiben, könnten diese Bemühungen die Lücke schließen und mehr junge Fachkräfte für das Bauwesen gewinnen.
Auch wenn Bauberufe in der Tat mit schwerem Heben und körperlicher Arbeit verbunden sein können, gibt es noch viele andere Möglichkeiten, auf technische und konstruktive Weise beim Aufbau der so dringend benötigten Infrastruktur zu helfen – wie zum Beispiel mit BIM-Technologie. Die Branche ist im Umbruch: Technologie sorgt für nachhaltige Veränderungen in der Baulandschaft und mit Hilfe von Branchenführern werden diese Neuerungen in den Vordergrund gerückt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Redshift, einer Autodesk-Publikation, um Designer, Ingenieure, Architekten und Hersteller zu inspirieren. Haben Sie Lust auf mehr Inhalt? Abonnieren Sie den Redshift-Newsletter.