Glücklich und zufrieden sollen sie sein, in ihrer Arbeit Erfüllung finden, dabei den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichern – so könnte ein Idealbild der potentiellen Mitarbeiter aus der Perspektive der HR-Verantwortlichen und Entscheidern aussehen. Doch wie sehen die Profile solcher Kandidaten aus? Welche Auswahlkriterien versprechen zukünftig den Erfolg?!
Die offene Stelle des Software Engineers in dem mittelständischen Beratungshaus ist endlich so gut wie besetzt: nur noch zwei Kandidaten stehen in der engeren Auswahl: Peter G. – 27 Jahre alt, glänzt mit einem Master-Abschluss in Software-Engineering wie aus dem Bilderbuch, zusätzlichen Zertifikaten und ambitionierten Karriereplänen; Michael A. – 26 Jahre alt, kann zwar nur ein abgebrochenes Studium der Wirtschaftsinformatik, dafür aber einen bunten Strauß an selbstangeeigneten Programmier-Skills sowie interessante Projekterfahrung vorweisen. Für wen entscheidet sich das Unternehmen?!
Eine Qualifikation nicht allein ausschlaggebend für eine Einstellung
Sicher ist diese Situation noch keine gängige Praxis im Recruiting-Alltag, allerdings ist die zunehmende Relevanz von Cultural Fit bei der Kandidatenauswahl nachweisbar. Unter „Cultural Fit“ versteht man den Grad der Übereinstimmung der Wertevorstellungen, Verhaltensweisen, Denkmuster und Rituale eines Unternehmens und seiner bestehender bzw. potentieller Mitarbeiter. Die erste Studie zu unternehmenskulturellen Bewerberpassung von meta HR & Employour zeigte bereits 2016 auf, dass 80% der HR-Entscheider auf Cultural Fit im Auswahlverfahren als wichtig erachten und diesem Thema einen steigenden Trend verheißen. Dieser ließ sich bereits ein Jahr später von der StepStone Untersuchung bestätigen. Nichts Ungewöhnliches, denn die Vorteile eines „Perfekten Matches“ wurden bereits mehrfach durch Forschung belegt. Höhere Motivation der Mitarbeiter, stärkere Mitarbeiterbindung, höheres Engagement der Mitarbeiter, höhere Mitarbeiterzufriedenheit sind nur einige Pluspunkte eines kulturell basierten Recruitings. Auch für die Bewerber werden Unternehmenskultur und Cultural Fit immer entscheidender. Für nahezu alle von StepStone befragten Jobsuchenden diese Aspekte eine wichtige Rolle. Laut der Studie von Deloitte (2015) würden sogar 95 % der Bewerber eine zu ihnen passende Unternehmenskultur dem Gehalt vorziehen.
Kostspieliger Mismatch
Im Krieg um die besten Talente stehen HR-Verantwortliche vor extremen Herausforderungen. Zeitlicher Druck, keine ganzheitliche Recruitingstrategie und -verfahren, aber auch Fachkräftemangel und äußere wirtschaftliche Einflüsse können im Weg stehen, wenn es um die Besetzung der vakanten Stellen mit „richtigen“ Bewerbern geht. Die digitale Transformation erfordert zudem einen Shift in der Gestaltung eines Skill-Sets des bestehenden Teams und potentieller Mitarbeiter: die sozialkulturellen Kompetenzen sowie das durch Weiterbildung erworbenes Know-How werden noch mal an Bedeutung gewinnen (IAB-Kurzbericht, 12/2017). Als ob dies nicht genug an Challenges wäre, werden die HR-Manager zusätzlich damit konfrontiert, dass 20 % der neueingestellten Mitarbeiter nach bereits 18 Monaten wieder neue Arbeitgeber suchen und jeder 10. Mitarbeiterwechsel auf Fehlentscheidungen im Einstellungsprozess zurück zu führen ist. Die Ursachen personelle Fehlbesetzungen sind zwar komplex, der kulturelle Mismatch eines Bewerbers bzw. Mitarbeiters ist jedoch eins davon. Eine personelle Fehlbesetzung hat negativen Einfluss auf die Produktivität, Effizienz. Performance, Unternehmenskultur sowie Kundenzufriedenheit. Die finanziellen Auswirkungen sind hierbei nicht zu unterschätzen: laut Berechnung des Gallup Instituts muss für jeden ausgeschiedenen Mitarbeiter durchschnittlich das 1,5-fache des Jahresgehalts in einen gleichwertigen Ersatz investiert werden. Dabei bewegen sich die konkreten Kosten für eine Fehlbesetzung zwischen 30.000 – und 140.000 €, je nach Position, Hierarchieebene und der unterschiedlichen Kostenfaktoren wie Ausgaben für Anzeigen, Bewerbermanagement, Einarbeitung, Gehalt und v. m.
Schärferer Fokus auf die Umsetzung
Trotz des hohen Stellenwertes, der dem Cultural Fit beigemessen wird, stützen gerade mal 4 von 10 Unternehmen Ihre Personalauswahl im Wesentlichen auf kulturellen Match. Somit ist hier noch viel Luft nach oben gegeben. Nur wenige Unternehmen überprüfen den Cultural Fit systematisch in ihren Auswahlverfahren. Dabei lässt sich die kulturelle Passung auf unterschiedliche Art und Weise – sicher mit Unterschieden in der Qualität, Systematik und Objektivität – ermitteln. Die relativ breite Palette an Verfahren reicht von CV-Analysen, Telefon- und persönlichen Interviews, über Probetage bis hin zu softwaregestützten Matching-Tools. Das letzte könnte dem Wunsch der HR-Verantwortlichen entsprechen, Cultural Fit mehr systematischer und objektiver zu betreiben und gleichzeitig dem Bewerber mehr Einblick in die Kultur des Unternehmens und frühzeitige Orientierung, wie gut das
Unternehmen zu ihm passt, zu geben. Unabhängig von Verfahren und Tools zu Cultural Fit weisen inzwischen einige Experten der HRBranche darauf hin, nicht einfach „blind“ die „passenden Deckel zu den entsprechenden Töpfen“ zu suchen, sondern differenzierten Weg zu gehen und zu prüfen, ob das Unternehmen in der entsprechenden Entwicklungsphase auf kulturelle Passung oder eine kulturelle Ergänzung setzen soll (Supplementary Fit bzw. Complementary Fit). Essentiell ist jedoch: Unternehmen müssen mehr Klarheit über ihre Unternehmenskultur gewinnen und diese auch nach außen kommunizieren – authentisch, und nicht mit, vom Marketing optimierten, Keywords in den hochglanzpolierten Image-Broschüren und -Videos: Was macht den „Geist“ unseres Unternehmens wirklich aus? Was ist unser „Zweck der Existenz“? Was sind die Werte, die wir tatsächlich leben? Die Erkenntnisse daraus bilden das Fundament für die unternehmenskulturelle Passung. Mein Fazit zu Cultural Fit: Angesichts der vielen freien Stellen – im Jahr 2018 über 790.000 und damit der höchste Wert der letzten Jahre-, die die Unternehmen besetzen müssen, sollten die Organisationen darüber nachdenken, den Fokus bei der Personalsuche zumindest etwas mehr auf Cultural Matching und etwas weniger auf das Hard-Skill-Set zu verlagern. Sicher ist es kein Patentrezept für die erfolgreiche Stellenbesetzung, aber zumindest ein Lösungsansatz – gerade in Zeiten des digitalen Wandels. Das mittelständische Beratungshaus entscheidet sich final für den Kandidaten mit dem „eher ungeraden“ Lebenslauf“, der auf den ersten Blick nicht alle fachlichen Anforderungen erfüllt. Der Grund: Die persönlichen Werte dieses Kandidaten – Kreativität, Mut, Offenheit und Teamgeist übereinstimmen besser mit den Werten und der Unternehmenskultur des Mittelständlers!
Natalia Streck ist Human Resources Managerin mit Passion mit langer Erfahrung als HR-Generalistin in der IT-Branche. Sie setzt sich dafür ein, gerade in der heutigen Zeit des digitalen Wandels, die Rolle von HR-Management neu zu denken und möchte die Transformation von Human Resources mitgestalten. Dabei will sie Neues entdecken und die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven sehen und anderen sowie sich selbst Wachstum ermöglichen und Brücken des Verständnisses und gegenseitiger Unterstützung bauen. Ihr Motto ist: Die Veränderung beginnt bei dir!