Bei der Beschäftigung behinderter Mitarbeiter gibt es zahlreiche arbeitsrechtliche Irrtümer. Eine Info-Veranstaltung klärte auf.
Die Meinung, „Schwerbehinderte sind unkündbar“ hält sich hartnäckig – und erweist sich häufig als Barriere in den Köpfen von Arbeitgebern: Bei einer Umfrage der IHK Nürnberg für Mittelfranken nannten 58 Prozent der Unternehmen den besonderen Kündigungsschutz als größtes Hemmnis bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Deren Teilhabe am Arbeitsleben ist jedoch ein essenzieller Baustein der Inklusion.
„Für uns ist es eine Herzensangelegenheit, sich dieses Themas anzunehmen“, betonte Christine Bruchmann, Vizepräsidentin der IHK Nürnberg für Mittelfranken, zum Auftakt der Veranstaltung „Der besondere Kündigungsschutz“. Der Informationsabend fand in der Reihe „Schwerbehinderte in der Arbeitswelt“ statt, die die Kammer in Kooperation mit dem Inklusionsamt im Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) durchführt.
Der besondere Kündigungsschutz gilt nach einer Beschäftigungszeit von sechs Monaten für alle schwerbehinderten Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 und für ihnen gleichgestellte Menschen mit einer Behinderung von 30 oder 40 GdB. Der besondere Kündigungsschutz schreibt vor, dass der Arbeitgeber für eine Kündigung die Zustimmung des Inklusionsamtes einholen muss. Diese Regelung gilt grundsätzlich für alle Kündigungsarten, also für ordentliche und außerordentliche, für verhaltens-, personen- und betriebsbedingte Kündigungen. Kündigt der Arbeitnehmer selbst oder wird ein einvernehmlicher Aufhebungsvertrag geschlossen, muss das Inklusionsamt nicht zustimmen.
Die Rolle des Inklusionsamtes
In Bayern ist das Inklusionsamt in das ZBFS eingegliedert, der Landesbehörde für soziale Leistungen im Ressort des Bayerischen Sozialministeriums. Im Auftrag des Inklusionsamtes bietet der Integrationsfachdienst Mittelfranken Arbeitgebern und Arbeitsnehmern individuelle Beratung im Themenfeld Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Dazu gehört auch, eine vermittelnde bzw. klärende Rolle einzunehmen, wenn die Gefahr einer Kündigung droht.
„Rufen Sie uns an, reden Sie mit uns“, appellierte Bernd Wein vom Inklusionsamt. Idealerweise sollte das Inklusionsamt bereits vor Beginn des eigentlichen Kündigungsverfahrens eingebunden werden. Diesen Rat bekräftigte Ulrike Belian, Heimleiterin eines Senioren- und Pflegeheims in Feuchtwangen: „Suchen Sie frühzeitig das Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter und nehmen Sie Kontakt mit dem Integrationsfachdienst auf“, so ihre Empfehlung für Arbeitgeber, wenn sie gesundheitsbedingte Leistungsminderungen bemerken. Als neutrale Dritte sind die Integrationsfachdienste dazu da, um als fachkundiger Moderator zwischen den Parteien zu vermitteln. „Eine unparteiische Beratung nützt allen Beteiligten. Solche Angebote wahrzunehmen, hat viel mit Wertschätzung zu tun – und die sind Sie Ihren Mitarbeitern schuldig“, berichtete Nadine Heinecke, Personalleiterin der Nürnberger Fürst Gruppe, von ihren Erfahrungen.
Auch die Juristin Dr. Katharina Reidel wies darauf hin, dass der Dialog mit dem Integrationsfachdienst die Chance bietet, konstruktive Lösungen zu finden. Den Mythos der Unkündbarkeit widerlegte die Fachanwältin für Arbeitsrecht. Schwerbehindertenschutz bedeute nämlich nicht, dass grundsätzlich keine Kündigung möglich sei.
Verhaltensbedingte Kündigung
So ist der Schwerbeschädigten-Status im Arbeitsrecht kein Freibrief: Auch gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern kann eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Gründe dafür sind beispielsweise unentschuldigtes Fehlen, Störung des Betriebsfriedens, verspätete Krankmeldung und Nichtvorlegen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Bei persönlichem Fehlverhalten greift die Schutzwirkung des besonderen Kündigungsschutzes nicht. Bei schweren rechtswidrigen Pflichtverletzungen wie Diebstahl kann der Arbeitgeber sofort eine fristlose Entlassung vornehmen.
Mitunter stellt sich jedoch ein Abgrenzungsproblem. Das Schlüsselwort ist dabei der sogenannte Behinderungsbezug des Kündigungsgrunds. Eine Teilnehmerin der IHK-Veranstaltung schilderte, wie ein Mitarbeiter Kunden und Kollegen beschimpft und wegen fehlender Körperhygiene nicht mehr im Außendienst eingesetzt werden kann. Der Betroffene lasse alle Kritik an seinem Verhalten mit der Begründung abprallen, er sei als schwerbehinderter Diabetiker durch das Auf und Ab seiner Blutzuckerwerte starken Stimmungsschwankungen ausgesetzt. Dieses Beispiel wäre ein Klassiker für eine Klärung durch das Inklusionsamt. Die Vertreter dieser Behörde betonten auf der IHK-Veranstaltung jedoch unisono: „Fälle, in denen der Schwerbehindertenschutz von Arbeitnehmern bewusst ausgenutzt wird, sind eher die Ausnahme.“
Autor: aw.