puls-Geschäftsführer Dr. Konrad Weßner und IHK-Präsident Dr. Armin Zitzmann begrüßten zur Tagung im „Feuerbachsaal“ der IHK Nürnberg für Mittelfranken.
Wie kann man Fachkräfte gewinnen und als Arbeitgeber attraktiv sein? Um diese Fragen drehte sich der 18. puls-Unternehmertag, der von der puls Marktforschung GmbH aus Schwaig veranstaltet wurde und am 26. Januar in der IHK stattfand. puls-Geschäftsführer Dr. Konrad Weßner und IHK-Präsident Dr. Armin Zitzmann begrüßten zu der Tagung unter dem Titel „Gehen uns die Arbeitskräfte aus?“.
Neu ist diese Frage nicht gerade, wie IHK-Präsident Dr. Armin Zitzmann unterstrich: „Die Fachkräfteentwicklung in Deutschland ist seit zehn Jahren bekannt. Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Arbeitskräftesituation sind ebenfalls seit 20 Jahren bekannt.“ Verschärft werde die Lage durch Tausende Jugendliche, die die Schule jedes Jahr ohne Abschluss verlassen, sowie durch die im internationalen Vergleich geringeren Arbeitszeiten. Mehr Flexibilität sei auch bei der Einwanderung ausländischer Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten notwendig.
Eine Arbeitgeber-Marke aufbauen
Oliver Fern, Regionalvorstand der Landesbank Baden-Württemberg (LBBM), erinnerte an Prognosen, wonach in den kommenden Jahren Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen dürften. „Ein authentisches Employer Branding ist deshalb wichtig, um sich im Arbeitsmarkt positiv abzuheben und Personal langfristig zu binden“, so Fern. Die Arbeitskräftesicherung stelle heute weit höhere Anforderungen an Führungskräfte und Teams als in früheren Zeiten. Dies gelte auch für die Frage, wie man Auszubildende finden und halten könne. Der Experte nannte einige mögliche Maßnahmen: Potenziellen Mitarbeitern müsse heute besser deutlich gemacht werden, welche Werte das Unternehmen vertrete. So könnten die Betriebe etwa erläutern, wie sie sich bei den Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und erneuerbare Energien engagieren. Fern nannte u. a. beispielhaft auch diese Aktivitäten, mit denen man sich gegenüber Interessenten authentisch präsentieren könne: „Mitarbeiter suchen Mitarbeiter“, junge Mitarbeiter stellen das Unternehmen bei Job-Börsen an Hochschulen vor oder Mitarbeiter berichten auf Social-Media-Kanälen über ihre Arbeit oder über das Betriebsklima.
Ausländische Mitarbeiter in den Blick nehmen
„Wir hatten 2022 eine Höchstzahl an Stellenangeboten. Das heißt, in Bayern wurden auch in der Zeit der Pandemie Stellen aufgebaut“, berichtete Klaus Beier, Geschäftsführer der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. 18 500 Ausbildungsstellen seien 2022 unbesetzt geblieben, davon 43 Prozent in den Bereichen Handel, Büro, Lager, Logistik sowie Hotels und Gaststätten.
Weiterbildung biete Unternehmen die Chance, Arbeitskräfte zu gewinnen, weiterzuentwickeln und an den Betrieb zu binden. Die Bundesagentur für Arbeit unterstütze dabei mit Beratung von Betrieben und Beschäftigten sowie mit attraktiven Förderprogrammen. So könnten die Lehrgangskosten ganz oder teilweise erstattet oder Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gewährt werden. Die Betriebe sollten bei der Rekrutierung auch neue „Zielgruppen“ in den Blick nehmen, beispielsweise ausländische Arbeitskräfte aus der EU oder aus Drittstaaten, Flüchtlinge oder ausländische Studenten, die in Deutschland studieren und nach ihrem Abschluss auch gerne hier arbeiten würden. Nicht vergessen werden dürfe jedoch, dass gerade junge ausländische Mitarbeiter oder Flüchtlinge bei ihrem Start in Deutschland intensiv begleitet werden müssten. Auch dabei unterstütze die Bundeagentur für Arbeit – etwa durch Initiativen wie „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“ oder „Perspektiven für junge Flüchtlinge“.
Menschen mit ungewöhnlichen Lebensläufen unterstützen
„Wir müssen auch Menschen mit nicht so geraden Lebensläufen unterstützen. Das sind oft die Mitarbeiter, die sich am meisten engagieren und am längsten im Unternehmen bleiben“, erklärte Markus Neubauer, Geschäftsführer von Silbury Deutschland GmbH in Fürth. Der Fachkräftemangel sollte nicht immer nur als Problem, sondern auch als Wettbewerbschance gesehen werden. Denn viel Potenzial liege im Einsatz von digitalen Lösungen, um vorhandene Fachkräfte von Routinetätigkeiten zu entlasten und Prozesse effizienter zu gestalten.
Viel weniger Bewerber auf Lehrstellen
„Wir haben kein sexy Produkt, also müssen wir die Technologie vorstellen. Unsere Präzisionswerkzeuge werden in vielen Branchen benötigt wie Raumfahrt, Medizin, Kraftwerken oder Wehrtechnik“, erläuterte Gerhard Knienieder, Geschäftsführer von Emuge Präzisionswerkzeuge aus Lauf / Rückersdorf. Jährlich würden 25 Ausbildungsplätze angeboten, auf die sich früher rund 100 junge Menschen beworben hätten, nach der Pandemie seien jedoch nur noch 20 bis 25 Bewerbungen eingegangen. Dies sei auch eine Folge der zunehmenden Akademisierung, die nicht nur der Politik, sondern auch den Ansprüchen der Eltern geschuldet sei.
Man müsse die Jugendlichen heute anders ansprechen als früher und nicht nur die Art der Tätigkeiten, sondern auch das gute Betriebsklima, den Teamgeist der Kollegen und die Freude an einem modernen Arbeitsplatz hervorheben. Bei Emuge kümmert sich eine junge Mitarbeiterin, die gerade ausgelernt hat, um die altersgerechte Ansprache junger Leute. Für ihre Postings auf Instagram wurden ihr große Freiheiten eingeräumt: „Ihr wurde lediglich verboten, Ratschläge von über 30-Jährigen anzunehmen“, merkte Knienieder lachend an. Auch die Homepage wird zweigleisig umgebaut: Sie muss weiter die technischen Informationen vermitteln, die für die Kunden notwendig sind. Aber weitere Inhalte sollen jugendliche Interessenten in altersgerechter Sprache und Darstellungsform erreichen.
Emuge unterstützt auch intensiv bei der Qualifizierung: Ein Drittel der Auszubildenden macht später eine Weiterbildung zu Technikern oder Meistern und übernimmt Führungspositionen. Dies müsse ebenso authentisch vermittelt werden wie die Firmenphilosophie in dem traditionsreichen Familienunternehmen: „Dazu gehört auch, bei kleineren Krisen nicht gleich Mitarbeiter zu entlassen“, so Knienieder. Die Mitglieder der Unternehmerfamilie seien zudem vor Ort präsent und jederzeit ansprechbar.
Nicht nur Fachkräfte-, sondern auch Arbeitskräftemangel
„Unser Unternehmen hat sich schon 2015 mit dem bevorstehenden demografischen Wandel beschäftigt. Zwischen 2020 und 2030 wird die Hälfte unserer Beschäftigten in Rente gehen. Wir haben definitiv einen Arbeitskräftemangel und nicht nur einen Fachkräftemangel“, erklärte Magdalena Weigel, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin der N-Ergie Aktiengesellschaft in Nürnberg. Die Qualität der Bewerbungen sei heute anders als vor drei, vier Jahren. Die Werbeveranstaltungen seien niederschwellig – beispielsweise Live-Events auf Social Media, Veranstaltungen im Straßenbahndepot mit dem Radiosender Energy oder ein Quiz mit Auszubildenden, bei dem Online-Abstimmungen möglich sind. Das Verfassen von ausführlichen Bewerbungen stelle heute eine Hürde für viele Jugendliche dar. Deshalb reichten für den Erstkontakt nun auch Name, Telefonnummer und zwei Sätze zur Motivation der Anfrage aus.
Um die Mitarbeiter im Unternehmen halten zu können, müsse man sich noch mehr auf die Menschen einstellen und ihnen je nach individueller Situation die besten Rahmenbedingungen bieten. Auch die zunehmende Vielfalt der Mitarbeiter mache eine noch stärkere Begleitung nötig. „Außerdem müssen wir unsere Anforderungen runterschrauben“, so Weigel. Früher hätten beispielsweise zahlreiche Fahrer schon bei der Bundeswehr einen Busführerschein erworben, nun müssten entsprechende Kurse angeboten werden. „Und bei Busfahrern mit Orientierungsproblemen setzen wir schon mal einen Kollegen daneben, bis der Weg sitzt.“
Betriebe müssen bei Deutschkenntnissen unterstützen
„In der Pandemie haben wir einen Boom erlebt und mussten in der kurzen Zeit von 200 auf 300 Mitarbeiter aufstocken. Trotzdem ist viel Umsatz liegengeblieben“, sagte Martin Esslinger, Geschäftsführer der Ortlieb Sportartikel GmbH aus Heilsbronn. Die Geschäftsführung habe sich daraufhin entschlossen, das Personalmanagement auszubauen. Das sei auch deshalb nötig, weil in der Produktion Mitarbeiter aus 20 Nationen arbeiten. Grundlagen der deutschen Sprache seien unerlässlich, zumal es etwa ein halbes Jahr dauere, bis die Mitarbeiter die im Betrieb selbst entwickelten Maschinen gut bedienen können. Eine Maßnahme war, Gruppen nach Herkunftsländern zu bilden, in denen zumindest jeweils ein Mitarbeiter Deutsch spricht. Man habe einen hohen Aufwand betrieben, um diese Gruppen in das Schichtsystem zu integrieren, dennoch sei die Produktivität während der Corona-Pandemie gesunken. Der Mangel an geeigneten Mitarbeitern beschränke sich nicht auf die Fertigung, selbst für die Stelle eines Produktmanagers mit technischem Verständnis habe es keine einzige Bewerbung gegeben.
Beim Personalmanagement hat Ortlieb eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Mitarbeiter zu werben und zu halten: So wird das Thema Nachhaltigkeit, das vom Unternehmen seit 40 Jahren gelebt werde, noch stärker nach außen kommuniziert. Der erste Kontakt mit Interessenten wird oft über Social-Media-Kanäle hergestellt – zunächst nur mit E-Mail-Adresse und Telefonnummer, weitere Unterlagen wie Zeugnisse folgen erst später. Neue Mitarbeiter werden intensiv begleitet, um sich schnell in den „Mikrokosmos Ortlieb“ einzuleben. Den Einarbeitungsplan erhalten sie schon vor dem Arbeitsbeginn. Das Mindset der Bewerber müsse aber auch zu Ortlieb passen, deshalb werde die Philosophie „jeder packt mit an“ von Anfang an vermittelt, so Esslinger.
Wie sehen Kunden und Mitarbeiter das Unternehmen?
Florian Schmidbauer, Consultant bei der puls Marktforschung GmbH, wies auf einen weiteren Aspekt hin, der in Zeiten des Arbeitskräftemangels für Unternehmen immer wichtiger werde: „Sie müssen verstehen, wie sie von Kunden und Mitarbeitern wahrgenommen werden und welche Synergieeffekte sich aus der Weiterempfehlung beider Gruppen ergeben.“ Eine Mitarbeiterbefragung im eigenen Haus könne nie ehrlich sein, sie sollte deshalb immer neutral durchgeführt werden. Dies wolle puls mit dem sogenannten „puls Brand Growth Tracking“ leisten, bei dem in über 3 000 Interviews gefragt wird, wie 169 Marken aus 13 Branchen (darunter z. B. Audi, N26, Apple, Ecosia, Miele, Möwenpick Marché) von Arbeitnehmern und Kunden gesehen werden. Die Studie ergab, dass 39 Prozent der Kunden „ihre“ Marken und Produkte anderen Kunden weiterempfehlen würden. Aber: Nur 22 Prozent der Mitarbeiter würden ihren Arbeitgeber aktiv weiterempfehlen. Dabei erzielten Apotheken und Banken die höchste Attraktivität und die Bereitschaft, dort zu arbeiten. Schlechter abgeschnitten hätten der Lebensmittelhandel und das Handwerk, das nach Meinung Schmidbauers von den Medien „tot geschrieben“ worden sei.
Es sei deshalb gerade für Unternehmen und Branchen mit niedrigen Image-Werten wichtig, „Fans“ zu gewinnen und diese zu motivieren, auch andere von der Attraktivität der Branche zu überzeugen. Diese Art der Ansprache funktioniere besser als alles andere. Entscheidend sei, authentisch über das Unternehmen zu kommunizieren, nur dann könnten Mitarbeiter zu „Fans“ werden. Denn wer ausschließlich wegen des Gehalts bei einem Unternehmen arbeite, werde auch des Gehalts wegen wieder zu einem anderen Arbeitgeber wechseln.
„Mitarbeiter müssen als Menschen und nicht als Ressource begriffen werden“, mahnte Jürgen Gietl, Geschäftsführer der Agentur Brand Trust GmbH in Nürnberg. In vielen Unternehmen müssten sich die Prioritäten und das Denken ändern, denn das Managen von sogenannten weichen Faktoren werde entscheidend für den Unternehmenserfolg. Gegenseitiges Vertrauen sei einer der Aspekte, die wichtiger würden. „Arbeitgeber, die ihre nach außen getragenen Versprechen nicht erfüllen, werden große Probleme kriegen“, prophezeite Gietl.
Über die Aktivitäten der Europäischen Metropolregion Nürnberg (EMN) beim Thema Fachkräftesicherung berichtete Peter Ottmann, Geschäftsführer der NürnbergMesse GmbH und Sprecher des EMN-Forums Marketing. Eines der Ziele der Marketing-Projekte sei es, die Region auch hinsichtlich von Standortfaktoren wie z. B. Lebensqualität, Sicherheit, Lebenshaltungskosten und Landschaft als attraktiven Ort für Leben und Arbeiten zu profilieren. Wie die Imagebefragung der EMN vor Kurzem ergeben habe, sei man auf diesem Wege deutlich vorangekommen. Mit einer aktuellen Image-Kampagne sollen diese Standortfaktoren, aber auch Aspekte wie Innovation, Hochschullandschaft und Verkehrsanbindung noch besser nach außen transportiert werden.
Markus Bohl, CEO von Intel Ignite Europe, erklärte, die Unternehmen müssten sich im Wettbewerb um Talente in Hochgeschwindigkeit von wissenden zu lernenden Organisationen entwickeln. Er machte den notwendigen Wandel an einigen Gegensatzpaaren deutlich: „Richtungen aufzeigen statt Wege vorgeben“, „mehr lernen, weniger erziehen“ und „mehr in Systemen denken und weniger in Zielen“.
Antje Schweinfurth