Homeoffice hat sich etabliert, digitale Formate ergänzen oder ersetzen Präsenztermine. Der Wandel ist vielerorts in vollem Gange.
Damit hätte der IT-Experte nicht gerechnet: Mit dem Ende der Sommerferien gab sein Arbeitgeber bekannt, „Full Flex Office“ einzuführen. Die Beschäftigten des Telekommunikationsspezialisten müssen seither nur noch in Ausnahmefällen am Firmensitz präsent sein, an 20 Tagen dürfen sie zudem im Ausland arbeiten. Nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie hat sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Eine Rückkehr zu den vorherigen Bedingungen können sich viele Unternehmen und Mitarbeitende kaum mehr vorstellen. Zu gut sind meist die Erfahrungen mit flexiblen Arbeitszeiten und -orten, mit weniger Dienstreisen und reichlich neuen digitalen Formaten, sei es in der Aus- und Weiterbildung oder bei Meetings via Zoom, Teams & Co.
Unsicherheit etwa über die künftige Entwicklung der Infektionszahlen lassen die Arbeitgeber zudem vorsichtig agieren. Auch Monate nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht am 1. Juli sind viele Büros in Deutschland noch weitgehend verwaist. Das ergab eine Umfrage des Handelsblatts bei Dax-Konzernen und Familienunternehmen. „Vorsicht geht vor Büroauslastung“, so die Devise in den Chefetagen. Damit können die Beschäftigten gut leben. Als angenehm und produktiv empfinden viele den Heimarbeitsplatz. Nur noch zu Hause arbeiten, will die Mehrheit aber nicht. Viele vermissen den Austausch mit Kollegen in der Teeküche oder mittags in der Kantine. Auf der Wunschliste ganz oben: ein hybrides Modell. Eine Umfrage der Krankenkasse DAK etwa kommt zu dem Schluss, dass sich 58 Prozent der Beschäftigten vorstellen können, künftig die Hälfte der Zeit von zu Hause aus zu arbeiten.
Doch auch das birgt Tücken. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Organomics fanden es zwei Drittel der Befragten schwierig, Arbeit und Freizeit klar voneinander zu trennen. Dabei gilt das Arbeitsgesetz auch zu Hause. Arbeitgeber müssten sicherstellen, dass weiterhin Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen und Ruhezeiten sowie das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit eingehalten würden, sagt Christoph Abeln, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Sie seien zudem verpflichtet, arbeitsmedizinische Vorsorge, Gefährdungsbeurteilung und Arbeitsschutzmaßnahmen zu überwachen.
Derweil bleibt der Trend zum Homeoffice nicht ohne Folgen für die Büroflächen und Gewerbemieten. Viele Unternehmen verschieben Neuanmietungen und überprüfen ihren Büroflächenbedarf. Laut Verband der deutschen Pfandbriefbanken sanken die Mieten bei Büroimmobilien im zweiten Quartal 2021 um 0,4 Prozent. Autobauer Opel etwa hält gar 90 Prozent der Büroarbeitsplätze für obsolet. Ein Berliner Tech-Unternehmen vermietete gleich zu Beginn der Pandemie sein Office an ein Start-up und kehrt frühestens 2022 zurück. In neuen Gebäuden sparen die Arbeitgeber Platz, indem sie keine festen Arbeitsplätze mehr vorhalten. Auf Parkplätzen richten Firmen Ladestationen für E-Fahrzeuge ihrer Kunden ein.
Längst etabliert haben sich nach anfänglichen Berührungsängsten virtuelle Meetings, etwa über Skype, Zoom oder Teams. Um zeitraubenden und unstrukturierten Meetings vorzubeugen, setzen heute immer mehr Unternehmen einen festen Zeitrahmen und verlangen im Vorfeld eine Agenda. Erleichtert wird das ortsunabhängige Arbeiten zudem durch weitere digitale Dienste, etwa die qualifizierte elektronische Fernsignatur. Aus Sicht der D-Trust GmbH, die zur Bundesdruckerei in Berlin gehört, ist sie „eine sichere und ungleich komfortablere Alternative zur eigenhändigen Unterschrift“. Durch modernste Verschlüsselungsverfahren könne die Identität des Nutzers besser sichergestellt und der Schutz vor Manipulation gewährleistet werden. Außerdem könnten Unternehmen Dokumente dank Wegfall von Portokosten und langen Versandzeiten kostengünstiger und schneller unterzeichnen.
Noch deutlich mehr sparen dürften die Unternehmen durch den Wegfall von Dienstreisen. Zur Unterschrift nach Moskau, zum Meeting nach New York: Das muss nicht immer sein, finden viele Arbeitgeber. Bei einer Umfrage des Verbandes Deutsches Reisemanagement gaben 96,4 Prozent an, dass sie mit einem Rückgang der Geschäftsreisen auch nach der Pandemie rechnen. Fast zwei Drittel glauben sogar, dass es künftig 30 Prozent weniger Geschäftsreisen geben werde als vor Corona. Und mehr als 95 Prozent sind überzeugt, dass die Bedeutung des Risikomanagements bei der Reise-Organisation wachsen werde.
Dank dem intensiven Werben der Unternehmen um zukünftige Azubis, konzertierter Aktionen im „Sommer der Berufsausbildung“ und der intensiven Nutzung digitaler Formate, wie Ausbildungsbörsen und -messen, Speeddatings oder Ausbildungsberatung per Video-Chat, ist es laut DIHK trotz Pandemie gelungen, die Lage am Ausbildungsmarkt zu stabilisieren. Gleichzeitig hat Corona große digitale Defizite bei den Berufsschulen aufgedeckt. Das soll sich ändern. Gegenüber dem DIHK betonte Britta Ernst, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, dass die beruflichen Schulen im gleichen Maße wie die allgemeinbildenden Schulen von den Mitteln des milliardenschweren Digitalpakts profitieren werden.
Nicht nur in der Aus-, auch in der Weiterbildung sind digitale Formate wichtiger geworden. Organisierten vor COVID-19 noch 70 Prozent der Unternehmen Weiterbildungen als reine Präsenzveranstaltungen, fanden zuletzt knapp zwei Drittel ausschließlich online statt. Mit 76 Prozent gehe die Mehrheit der Befragten davon aus, dass nach Ende der Pandemie digitale und hybride Formate deutlich zunehmen nehmen, so eine Studie von PwC Deutschland. Nicht jeder Beschäftigte findet das ausschließlich gut. Örtliche und zeitliche Flexibilität bewerteten die Befragten zwar als positiv, betonten aber, dass sehr viel Selbstdisziplin und digitales Verständnis vorausgesetzt würden. Als passende Lösung sehen Experten deshalb hybride Angebote, die Online-Module mit individualisierten Präsenzeinheiten kombinieren.
Das Homeoffice, so viel steht fest, ist gekommen, um zu bleiben. „Auf dem Weg zu einem neuen Arbeitsmodell, das analoge und virtuelle Arbeit sinnvoll miteinander vereint, sind allerdings noch viele Fragen ungeklärt“, findet Ursula Vranken, Geschäftsführerin des IPA Instituts für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation. Wie viel Homeoffice tut der eigenen Organisation gut? Wie stellen Führungskräfte sicher, dass Chefs und Mitarbeiter nicht den Draht zueinander verlieren? Wie stellt der Arbeitgeber sicher, dass die Grenzen zwischen Job und Freizeit nicht so verschwimmen, dass die Mitarbeiter am Ende mehr arbeiten? Der Wandel hat begonnen, abgeschlossen ist er noch lange nicht.
Autorin: Eli Hamacher