Von Richard Jager, CEO Randstad Deutschland
Die Wirtschafts- und Arbeitswelt befindet sich in einem radikalen Wandel. Die Digitalisierung verändert die Art, wie wir arbeiten. Und das in einem immer schnelleren Tempo. Neue Technologien sind in vielen Branchen längst nicht mehr nur ein nützlicher Begleiter, sondern sie ersetzen die menschliche Arbeitskraft. Haben wir in naher Zukunft bald nur noch Roboter in Firmen stehen und Chat Bots übernehmen Dienstleistungen? Das könnte man zumindest meinen, wenn man Studien dazu glaubt.
In den kommenden fünf Jahren könnten Maschinen und Algorithmen in Deutschland mehr als drei Millionen Jobs vernichten, hat beispielsweise eine Umfrage des IT-Verbands Bitcom ergeben. Die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat im Rahmen einer aktuellen Studie untersucht, wie viele Stellen in den wohlhabenden Industrienationen tatsächlich durch Automatisierung verschwinden könnten. Demnach sind Arbeitnehmer in Deutschland von der neuen Digitalisierungswelle überdurchschnittlich stark betroffen. Hier ließen sich mehr Stellen als in anderen Ländern durch Roboter und Software ersetzen, so die Studie aus 2018.
Mein neuer Arbeitskollege ist digital
Es gibt allerdings genauso viele Erhebungen, die dagegenhalten. Das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung hat im Auftrag der Bundesregierung erforscht, wo Firmen seit 2011 intelligente Maschinen eingesetzt haben, mit dem Ergebnis: Computer schaffen mehr Jobs als sie vernichten. Die unterschiedlichen Auswertungen zeigen uns, dass niemand mit 100%iger Gewissheit sagen kann, wie sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird und schon gar nicht, wie stark die Auswirkungen wirklich sein werden. Einfache Antworten wird es also nicht gehen. Doch auf was wir uns einstellen müssen ist, dass wir in jedem Beruf zunehmend mit intelligenten Technologien zusammenarbeiten werden. Dieser Trend ist unumkehrbar. Er sollte uns aber keine Angst machen. Virtuelle und digitale „Arbeitskollegen“ bieten, wenn sie richtig eingesetzt werden, eine große Chance: Sie können unsere Jobs menschlicher machen.
Technologie kann menschliche Potenziale freisetzen
Die Anforderungen in der Berufswelt sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Administrative und organisatorische Aufgaben haben in vielen Bereichen zugenommen. Viele Arbeitnehmer stöhnen unter dieser zusätzlichen Last. Wenn das in Zukunft technologische Helfer übernehmen, kann viel Potenzial frei werden für die Fähigkeiten, die eben nur Menschen besitzen.
Viele Berufe werden schon heute den neuen Gegebenheiten angepasst. Im Office-Bereich etwa konzentrieren sich Mitarbeiter stärker auf die Tätigkeiten, die menschliche Skills erfordern, wie das Bewerten von Daten, das Planen, Organisieren sowie das analytische Denken. Doch wie sieht das im produzierenden Gewerbe aus? Was ist mit den Berufen, die vorwiegend manuelle Tätigkeiten ausführen? In vielen Fabrikhallen reiht sich an den Produktionsbändern mittlerweile ein Hightech-Gerät ans nächste.
Hier wird die Automatisierung sicher Folgen haben für die Belegschaften. Eine Produktionshalle, die am Ende nur noch von Robotern bevölkert ist, mag zwar auf der Kosten-Nutzen-Rechnung höchste Effizienz versprechen. Aber wirklich wollen kann das niemand. Eine 100%ige Abhängigkeit von Technik kann in keinem Falle gut sein. Deshalb gilt es, klar die Grenzen von Digitalisierung zu definieren.
Überall da, wo Technik Mitarbeiter entlasten kann, ist sie sinnvoll für den einzelnen, aber auch für das Unternehmen. Bleiben wir im Produktionsbereich: Viele Maschinen sorgen schon heute dafür, dass sich die Fachkräfte am Band nicht mehr tief bücken oder ihren Rücken und Gelenke anderweitig stark belasten müssen. Davon profitiert die Gesundheit des Mitarbeiters und damit auch das Unternehmen, weil dadurch krankheitsbedingte Ausfälle reduziert werden.
Der technologische Fortschritt wird nicht stehenbleiben. Es gibt Szenarien, die für die Zukunft das Bild eines geteilten Arbeitsmarktes entwerfen: auf der einen Seite die Menschen, die durch den Einsatz von Robotern ihren Job verloren haben, und auf der anderen Seite die hochspezialisierten Fachkräfte, um die die Unternehmen wetteifern und von denen es viel zu wenige gibt. In welchem Umfang Technologien menschliche Arbeit ersetzen werden und ob es sogar zu einer neuen Symbiose von Mensch und Maschine kommt, kann niemand absehen. Doch liegt es an uns, diesen Wandel zu gestalten. Das Verhältnis von Mensch und Maschine muss definiert werden. Wenn monotone Arbeit von Robotern abgenommen wird, kann das Freiräume schaffen und menschliche Stärken, wie Kreativität und soziale Interaktion, können wieder mehr zum Tragen kommen.
Soft Skills werden im Arbeitsalltag immer wichtiger
Damit ändert die Digitalisierung auch die Anforderungen an Arbeitnehmer. Neben fachlichem Wissen sind Soft Skills, wie persönlichkeitsbildende und fachübergreifende Kompetenzen, gefragt. Eine Studie von LinkedIn aus 2017 hat untersucht, welche Fähigkeiten bei Fach- und Führungskräften hoch im Kurs stehen und welche es in zehn Jahren sein werden. Dabei kam heraus, dass im Bereich Soft Skills insbesondere funktionsübergreifende und interkulturelle Kompetenzen immer wichtiger werden. Diese Ergebnisse spiegeln wider, wie sich die Zusammenarbeit in den letzten Jahren verändert hat. Der Einzelkämpfer hat ausgedient. In vielen Branchen werden Projekte in Teams bearbeitet, oftmals über viele Abteilungs- und auch Ländergrenzen hinweg. Komplexe Zusammenhänge zu verstehen und zu managen, wird deshalb zunehmend zu einem Kern-Asset.
Aber auch bei anderen Berufsgruppen sind Fähigkeiten gefragt, die über die klassische Ausbildung bislang wenig abgedeckt wurden. Eine schnelle Auffassungsgabe, Kommunikationsstärke, Offenheit für Neues und die Fähigkeit, sich flexibel an neue Gegebenheiten anzupassen, sind essentielle Faktoren, um die Beschäftigungsfähigkeit langfristig zu sichern. Denn sie unterscheiden uns letztendlich von Robotern und Maschinen.
Echte Verbindungen entstehen nicht aus Daten und Algorithmen
Unternehmen und Mitarbeiter müssen sich darauf einstellen, dass sie sich zunehmend in einem Spannungsverhältnis bewegen, zwischen intelligenter Technik auf der einen und menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen auf der anderen Seite. Hierfür gilt es, tragfähige Konzepte zu entwickeln. Wir bei Randstad haben schon früh damit begonnen, uns mit der zunehmenden Technologisierung auseinanderzusetzen und Weichen zu stellen. Wir positionieren uns an der Schnittstelle von Tech & Touch – zwischen digitaler Technologie und persönlicher Nähe. Wir nutzen die digitalen Technologien zur Verbesserung unserer Dienstleistungen, für effiziente Arbeitsabläufe, bessere datenbasierte Erkenntnisse. Wir wissen aber auch, Effizienz ist nur ein Mittel zum Zweck. Ein Mittel, das unseren Mitarbeitern ermöglicht, sich auf unser wichtigstes Asset zu konzentrieren: die persönliche Beziehung und Beratung. Echte Verbindungen entstehen nicht aus Daten und Algorithmen – sie brauchen menschliche Interaktion, Empathie und Intuition.
Genau hier, an der Schnittstelle zwischen der Technologie und dem Menschen, verschafft uns die Technologie mehr Freiraum, damit wir uns mehr auf die menschlichen Aspekte unserer Arbeit konzentrieren können. Sie macht uns effizienter und proaktiver. Dabei werden wir aber nicht stehenbleiben. Unternehmen müssen der Entwicklung immer einen Schritt voraus sein, um rechtzeitig Maßnahmen abzuleiten, für ihr Geschäft, aber in erster Linie für ihre Mitarbeiter. Denn diese sind ihr wichtigstes Kapital – und nicht die Technik.
Fazit: Technologien nutzen, um Freiräume zu schaffen
IT-Programme vereinfachen Arbeitsprozesse und beschleunigen sie. Algorithmen liefern uns tagtäglich Unmengen an wertvollen Daten. Doch die Auswertung und Umsetzung in konkrete Handlungen sind immer noch menschliche Aufgaben. Wenn wir es schaffen, Technologien dort sinnvoll einzusetzen, wo sie uns mehr Freiräume für unsere Kernkompetenzen schaffen, können wir enormes Potenzial für eine starke wirtschaftliche Entwicklung freisetzen. Das bedeutet aber auch, Grenzen zu ziehen, wo wir die Digitalisierung nicht haben wollen.
Der Artikel erschien im Whitepaper „Wie wir in Zukunft arbeiten“ der
Über den Autor:
Richard Jager ist Vorsitzender und Sprecher der Geschäftsführung der Randstad Gruppe Deutschland. Er begann seine Karriere bei Randstad Niederlande 1995 als Consultant und übernahm dann weiterführende Aufgaben im regionalen holländischen Management. Ab 2010 hat er als Geschäftsführer von Randstad Schweiz das Unternehmen als umfassenden HR-Dienstleister und Arbeitsmarktexperten positioniert. Zuletzt verantwortete er den internationalen Geschäftsbereich Randstad Global Client Solutions, der sich mit strategischen Geschäfts-, HR- und Talentfragen beschäftigt. Der studierte Ökonom ist zudem im Advisory Board der Wittenborg Universität und der Nyenrode Business Universität in Amsterdam aktiv.