Wie Prozessmodelle Führungskräften bei der Einarbeitung von Mitarbeitern helfen

Zwei Beobachtungen machen die demographische Entwicklung für alle Führungskräfte sichtbar: Sie müssen deutlich häufiger neue Mitarbeiter in die Teams integrieren und sie stellen häufiger Personen mit geringeren Qualifikation ein, denn gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Das Thema „Einarbeitung neuer Kollegen“ konnte man bisher gut nebenher bewältigen. In Zukunft wird es jedoch zum Wettbewerbsvorteil, wechselnde Mitarbeiter schnell und zuverlässig in Abläufe integrieren zu können.

Spezialisten werden nicht mehr genügen, denn man muss häufiger in anderen Teams aushelfen. Bisher galt es als Qualifikation, in seinem Arbeitsgebiet alles und jeden schon gesehen zu haben. Zukünftig sind Mitarbeiter wertvoll, die sich überall für den Alltag gut genug auskennen. Führungskräfte brauchen also Instrumente, die wesentlichen Abläufe in ihrem Bereich übersichtlich und verständlich zu vermitteln. Dabei hilft es Mitarbeitern, wenn die Form der Anleitung in allen Teams ähnlich ist – denn dann kommt man viel schneller rein. Ein Portal mit Anleitungen für alle wichtigen Abläufe des Unternehmens hilft dabei: Hier erfährt jeder Mitarbeiter, worauf es in jedem Prozess ankommt und welchen Beitrag er darin zum Gesamterfolg leistet. Das motiviert: Ich verstehe was ich tun soll und ich sehe meinen Beitrag zum Ganzen.

Gut gemachte Prozessmodelle nach dem Modellstandard BPMN (Business Process Model and Notation) können Abläufe übersichtlich und gut verständlich darstellen. In einem standardisierten Modellformat hat jedes Symbol eine klare Bedeutung und die Darstellung lässt weniger Raum für Unklarheiten. Wenn das Unternehmen später Prozesse digitalisieren möchte, ist das BPMN-Modell die beste Grundlage: Für die Applikationsentwicklung wird das vorhandene Modell um technische Elemente angereichert – IT-Entwicklung und Führungskräfte sprechen somit die gleiche Sprache. Es ist daher aus verschiedenen Gründen lohnenswert, Unternehmensprozesse in einer etablierten Modellform abzubilden. Die folgenden Tipps helfen bei einer verständlichen und klaren Modellierung für alle Mitarbeiter:

1. Prozesse im Arbeitsalltag verankern.
Wenn man Geschäftsprozesse im Gesamtbild betrachtet, treten oft Zusammenhänge hervor, die man im Alltag nicht sieht. Mitarbeiter erleben oft nur einen Teil des Prozesses, der aber nur im Zusammenhang Sinn macht. Oder sie leisten mit ihrer Arbeit Beiträge zu verschiedenen Prozessen, die ihnen bisher nicht wichtig erschienen. Der „Zuschnitt“ der Prozesse weicht damit häufig von der Alltagswahrnehmung ab – das ist für Mitarbeiter neu oder zunächst fremd. Achten Sie bei der Benennung und Zuordnung von Prozessen darauf, dass das System trotzdem anschlussfähig bleibt.

2. Den Zusammenhang zum Kerngeschäft deutlich machen.
Zum einen soll in einem Prozessportal der Beitrag eines jeden Prozesses zum Kerngeschäft des Unternehmens deutlich werden. Zum anderen mag sich niemand durch endlos geschachtelte „Prozesslandkarten“ klicken, bis er endlich an den Abläufen ankommt, die ihn interessieren. Meine Empfehlung: Ein übersichtliches Gesamtmodell, das die Kernprozesse und Unterstützungsprozesse zeigt und von jedem dieser Elemente den Weg zu einer gegliederten Liste der operativen öffnet. In einer Liste kann man deutlich mehr gegliederte Informationen darstellen als in geschachtelten Modellen. Am Ende interessiert nur der konkrete Prozess, an dem ein Mitarbeiter beteiligt sein soll.

3. Details sinnvoll zu Aktivitäten zusammenfassen
Ein Prozessmodell muss sofort verständlich sein. Wir schaffen es, etwa ein Dutzend Elemente in einem Modell zu verstehen. Also reduzieren wir die Modelle und konzentrieren uns auf Arbeitspakete: Was „in einem Stück“ erledigt wird, soll im Prozessmodell als eine Aktivität erkennbar sein. Wenn also eine Rolle (Mitarbeiter in einem Team) einen Vorgang zusammenhängend erledigt (auch wenn es tatsächlich mehrere Personen sind), dann finden sie dazu nur eine Aktivität im Prozessmodell. So bleibt Ihr Modell übersichtlich und einfach zu lesen.

4. Aktivitäten sinnvoll dokumentieren
Diese Konzentration auf das Wesentliche im Modell erfordert eine gute Dokumentation der einzelnen Aktivitäten: Mit einem Klick auf eine Aktivität muss der Bearbeiter sofort sehen, worauf es dabei ankommt: Eine Checkliste nennt präzise, was alles erledigt sein muss, wenn die Aktivität fertig ist. Regeln für Entscheidungen in der Aktivität sind eindeutig beschrieben, verwendete Dokumente und Formulare direkt verlinkt. Klare Erklärungen helfen, die wichtigsten Fehlerquellen zu vermeiden.

5. Regeln sind keine Prozesse
Informatiker verwenden gerne Programm-Ablauf-Pläne zur Darstellung von Entscheidungsregeln. Diese Praxis hat leider ihren Weg in viele Prozessmodelle gefunden, wo Bearbeiter entlang einfacher Fragen zu ihrer Entscheidung geführt werden sollen: „Ist der Kunde ein Neukunde?“ Wenn ja „Liegt eine Bonitätsauskunft vor?“ Wenn nein „Wie hoch ist das Auftragsvolumen?“ Solche „Modelle“ sind nicht hilfreich. Entscheidungsregeln sind besser in klaren Tabellen darzustellen. Regeln sind keine Prozesse und Prozesse sind keine Regeln.

6. Prozesse stellen den Regelfall dar
Widerstehen Sie der Versuchung, in einem Prozessmodell alle Eventualitäten des Alltags abzubilden. Eine gute Darstellung beschränkt sich auf den Regelfall. Das bedeutet in der Praxis, dass jeder neue Mitarbeiter zunächst lernt, alle Fälle zu bearbeiten, die der Regel entsprechen – Ausnahmen und Sonderfälle übernehmen die erfahrenen Kollegen. Ein hilfreiches Instrument für diese Unterscheidung bieten so genannte „Ereignisteilprozesse“ in der Modellierung: Sie stehen als Platzhalter für bekannte Sonderfälle oder Ausnahmen. So wird im Prozessmodell schon klar, welche Ausnahmen im Prozess bekannt sind. Aber was in diesen Fällen zu tun ist, bleibt im Modell verborgen. In einem zweiten Modell kann man die Anweisung für diese Ausnahmefälle ausmodellieren.

7. Qualifikation vom Regel- zum Sonderfall
Eine kompakte Dokumentation aller wichtigen Prozesse in einem Arbeitsbereich ermöglicht es, viele Mitarbeiter breit zu qualifizieren. Nicht mehr Expertenwissen in einzelnen Bereichen ist anzustreben, sondern die Breite an Regelprozessen. Wer viele verschiedene Prozesse auf dem Basislevel beherrscht, ist vielseitig einsetzbar. Es ist eine Zusatzqualifikation, einzelne Prozesse so gut zu kennen, dass man auch die Ausnahmefälle übernehmen kann. Führungskräfte bekommen damit die Aufgabe, die Qualifikation von Mitarbeitern für ihre Prozesse einzustufen. Das Personalmanagement kann mit dieser Einstufung Sorge tragen, dass jederzeit genügend Personen verfügbar sind, die alle Prozesse abdecken können.

Weitere Informationen: www.feldbruegge.com

Dr. Rainer FeldbrüggeOrganisationsberater
Studium Geschichte und Wirtschaftswissenschaft
in Freiburg, Bielefeld und Baltimore
9 Jahre Führungserfahrung im Mittelstand
8 Jahre Erfahrung im Vertrieb, Training und Support bei Software-Unternehmen,
7 Jahre Beratungserfahrung Prozessmanagement

Lehrtätigkeit
Dozent am b.i.b. international College in Paderborn (1998-2002)
Lehrauftrag für Prozessmanagement an der Technischen Hochschule Deggendorf

Aus- und Weiterbildung
Systemische Organisationsberatung (Simon, Weber & Friends)
Design-Thinking-Coach (Oose)
OMG Certified Expert on BPM (OCEB) Intermediate Level Business Track
A-Lizenz zur berufsbezogenen Eignungsdiagnostik nach DIN 33430
Reengineering Expert (Michael Hammer)

Veröffentlichungen (Auswahl)
Prozessmanagement, Redline Verlag (2013)
Unikate vom Band – Massenproduktion ohne Massenabfertigung (ix 04/2015)
Veränderungen wirksam umsetzen (Management und Qualität, 08/2015)