Die Prokuristin Claudia Weber berichtet über die Herausforderungen bei der Digitalisierung der Erich Deinzer Stahl- und Metallverarbeitung GmbH.
Allianz pro Fachkräfte: Welche Rolle spielt Digitalisierung 4.0 in Ihrem Unternehmen / in Ihrer Branche?
Claudia Weber: Die stärkste Beschleunigung spüren wir von außen. Unser originäres Geschäft, die Zulieferung komplexer Blechteile für die Industrie, hat sich im Prinzip kaum verändert, es sind eher die organisatorischen Prozesse, im Rahmen derer wir umdenken müssen. Das bedeutet, dass wir uns auf die Anforderungen unserer Kunden und Zulieferer einstellen müssen, was beispielsweise die Digitalisierung von Angeboten und Bestellungen angeht. Diese Abläufe finden bei Industriekunden wie z.B. Siemens fast ausschließlich nur noch online über Bestellportale statt. Hier müssen wir zudem flexibel sein, denn wir arbeiten auch mit kleinen Kunden und Lieferanten zusammen, die ihre Prozesse noch nicht digitalisiert haben. Also müssen wir mit einer großen Spreizung und Bandbreite zurechtkommen.
Wie findet die Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern statt? Gibt es die Sorge: „Bald macht ein Roboter meinen Job?“
Nein, im operativen Geschäft betrifft unsere Mitarbeiter diese Sorge nicht – hinsichtlich eines Fachkräftemangels ist eher das Gegenteil der Fall. Wir haben z.B. enorme Schwierigkeiten, gute Facharbeiter für die Programmierung und Bedienung unserer Abkantpressen zu finden. Kritischer sind die administrativen Positionen, wie Buchhaltung, Kalkulation und Warenwirtschaft. Diese Bereiche sind stärker von der Digitalisierung betroffen.
Wie haben Sie auf diese Entwicklung reagiert, vielmehr wie haben Sie sich präpariert?
Wir hatten noch vor zwei Jahren eine interne EDV-Beauftragte, die sich intern um die Betreuung unserer digitalen Architektur gekümmert hat. Das ist heute kein Modell mehr für uns, denn auch mit der besten Ausbildung, ist es nicht möglich, auf dem neuesten Stand der Dinge zu bleiben. Das Thema Digitalisierung ist ein derart facettenreiches, hier können gar nicht alle Aspekte im Blick behalten werden. Mittlerweile arbeiten wir mit einem externen EDV-Dienstleister zusammen, interessanterweise mit einem Unternehmen aus Bielefeld, da wir in der Metropolregion keinen adäquaten Anbieter finden konnten, der uns ganzheitlich (Soft- und Hardwarebetreuung, Digitalisierung) betreuen kann.
Welche Maßnahmen haben Sie intern installiert?
Zum einen versuchen wir, unsere Mitarbeiter gut weiterzubilden und gleichzeitig junge Talente für uns zu begeistern, zum anderen haben wir Hierarchien eliminiert. Wir arbeiten in flachen Strukturen und Teams, um der Komplexität und geforderten Schnelligkeit gerecht werden zu können. Hier führen wir gerne die agile junge Generation an Leitungsfunktionen ran und ermuntern die ältere, erfahrene Generation, ihr Wissen im Team weiterzugeben.
Hat der Erfolg der Digitalisierung etwas mit dem Alter der Mitarbeiter zu tun?
Das würde ich generell so nicht sagen, aber Flexibilität und die Bereitschaft, sich zu verändern, sind absolute Grundvoraussetzungen für das Etablieren von Innovationen. Wenn ich das Neue scheue, boykottiere ich den Wettbewerb. Wie spüren bei älteren Mitarbeitern hin und wieder Angst vor Veränderungen und Blockaden. Hier ist Fingerspitzengefühl und Motivation gefragt, jeden auf dem Weg zu stärken und mitzunehmen oder auch den Mut zu haben, sich von Mitarbeitern zu trennen, die sich nicht verändern wollen.
Wie reagieren Sie konkret darauf?
Wir lassen die jungen Leute voranschreiten und den Weg ebnen. Wobei man es sich nicht so vorstellen darf, dass Azubis und Hochschulabsolventen, die zu uns kommen, per se diese Qualifikation haben. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Beobachtung geht eher in die Richtung, dass Schulen und Universitäten sich nicht auf die Anforderungen der Digitalisierung einstellen; sie lehren am Arbeitsleben vorbei. Das System ist viel zu „verschult“, wir bringen unseren jungen Leuten erst Eigenständigkeit und Verantwortung bei und was es bedeutet, im Team zu arbeiten, wo nur der Teamerfolg zählt. Hier sehe ich einen deutlichen Nachholbedarf in Bildung und Politik. Ich frage mich schon hin und wieder, wo der Produktionsstandort Deutschland in zehn Jahren steht, wenn wir nicht in vielen Bereichen flexibler werden.
Ihre Sorge bezieht sich allein auf die Qualifikation der Absolventen?
Und auf Faktoren wie Personalkosten. Hier brauchen wir andere gesetzliche Rahmenbedingungen und öffentliche Unterstützung, um weiterhin unterschiedliche Kompetenzen im Unternehmen bezahlbar aufbauen zu können. Zudem braucht es flexible Arbeitszeitmodelle, die es der heutigen Generation ermöglichen, die Herausforderungen von Berufs- und Privatleben in Einklang zu bringen.
Möglicherweise sind Modelle wie Kompetenzshifting oder Crowd Funding von Kompetenzen denkbar?
Möglicherweise. Schöner ist es jedoch, die Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen.
Bringt die Digitalisierung 4.0 aus Ihrer Perspektive ausschließlich Vorteile?
Nicht ausschließlich, aber ich habe gelernt, mich mit den Vorteilen zu beschäftigen und die Nachteile zu akzeptieren. Viele Dinge werden tatsächlich besser – Prozesse, die zuvor händisch abgelaufen sind, funktionieren nun digital. So bleibt mehr Zeit für sinnvolle Tätigkeiten. Wir können in der Produktion viel schneller reagieren, da Abstimmungs- und Freigabeprozesse effektiver geworden sind.
Wie blicken Sie als Führungskraft und Verantwortliche auf das Thema Digitalisierung und Weiterbildung?
Ich denke, man braucht sehr viel Pioniergeist, um sich diesem Thema zu stellen. Es kommt niemand vorbei, der einem sagt, was zu tun ist. Man muss einfach loslaufen und schauen, wohin die Reise geht, ohne das Ziel zu kennen und Betroffene zu Beteiligten machen. Ich denke, dass zu viele Unternehmen zu zögerlich sind und wichtige Entwicklungen verschlafen. Ich mache eine Ausbildung zum agilen Coach. Netzwerken, Agilität und Mut zu Veränderung sind sicherlich die Kernkompetenzen auf dem Weg zur Digitalisierung. Mein Motto lautet ganz nach Peter Spiegel: „WeQ more than IQ“.
Claudia Weber
Prokuristin bei Erich Deinzer Stahl- und Metallverarbeitung GmbH